Unsichtbar,

bewegungslos und in den ersten Lebenstagen auch fast geruchslos: Das ist seit Jahrhunderten die Lebensversicherung junger Rehkitze. Nach der Geburt können sie Ihrer Mutter noch nicht schnell genug folgen, um notfalls auch Fressfeinden zu entkommen. Daher werden sie von ihren Müttern in den ersten Lebenstagen in deckungsreicher Umgebung abgelegt und immer nur kurz oder in der Dämmerung zum Säugen aufgesucht. Ansonsten verharren die Kitze regungslos in der Deckung, wo sie für Ihre Feinde praktisch nicht zu finden sind.
Dieses über viele Rehgenerationen entwickelte Konzept harmoniert aber nicht mit der heutigen modernen Grünlandbewirtung. Aus Sicht der Rehmütter ist eine hochgewachsene, dicht stehende Frühlingswiese ein idealer Platz um ihre Kitze sicher abzulegen. Sie wissen nicht, dass die Setzzeit ihrer Kitze mit der ersten Wiesenmahd im Frühling zusammenfällt, auf die wiederum der Landwirt bzw. dessen Viehbestand nach dem Winter dringend angewiesen ist. Nun wird die vermeintliche Sicherheit der Kitze zur Gefahr, denn aufgrund ihrer fast perfekten Tarnung sind sie in den Wiesen für den Maschinenführer so gut wie nicht auszumachen. Schätzungen zufolge fallen deutschlandweit in jedem Jahr fast 100.000 Rehkitze der Wiesenmahd zum Opfer.

Klassische Methoden

Die Problematik der bei der Mahd getöteten oder - schlimmer - zunächst verstümmelten und dann erst qualvoll sterbenden Kitze ist Jägern und Landwirten schon lange bewusst und in vielen Revieren arbeiten sie Hand in Hand um dieses Tierleid zu vermeiden. Traditionell wird versucht die Wiesen am Abend bzw. der Nacht vor der Mahd zu beunruhigen, bspw. durch Ablaufen, Aufstellen von Blinklampen, Luftballons oder sonstiger Scheuchen. Oft veranlasst dies die Rehmütter ihre Kitze im Schutze der Dunkelheit aus der fraglichen Wiese zu führen, so dass diese bei der Mahd am nächsten Tag in Sicherheit sind. Allerdings gibt es auch nicht wenige nervenstarke Rehmütter, die sich durch solche Maßnahmen nur wenig beeindrucken lassen und ihre Kitze in der entsprechenden Wiese belassen. Hinzu kommt, dass die Wirkung solcher Vergrämungsmaßnahmen meist nur eine Nacht anhält. Danach haben sich die Rehe daran gewöhnt und legen ihre Kitze mitunter sogar in unmittelbarer Nähe der Scheuchen ab. Die Vergrämungsmethode ist dann für den Rest der Mahdsaison auf dieser Fläche kaum noch wirkungsvoll einsetzbar.

Auch das morgendliche Absuchen der Wiesen am Tag der Mahd, ggfs. auch mit entsprechend trainierten und gehorsamen Hunden, hat eine lange Tradition. Allerdings ist hier die jahrhundertelange Anpassung der Rehe Mensch und Hund weit überlegen und die Chance die abgelegten Kitze zu finden ist vergleichsweise klein. Wir haben es oft genug erlebt, dass selbst ein unmittelbar vor uns bewegungslos ausharrendes Kitz nicht zu erkennen war, selbst wenn uns die Wärmebildkamera eigentlich schon seine Anwesenheit angezeigt hatte. Erst beim zweiten oder dritten Nachsehen haben wir das Kitz dann gefunden, an dem wir sonst glatt vorbeigelaufen wären. Hinzu kommt, dass das Ablaufen der Wiesen - auch mit Hunden - sehr aufwendig ist. Die Wiese muss in engen Bahnen abgelaufen werden, um überhaupt eine gewisse Chance auf Erfolg zu haben. Um mit den heutigen Maschinenbreiten und -geschwindigkeiten mithalten zu können - 30 oder sogar 60 ha am Tag sind für die modernen Mähwerke kein Problem - würde es 50 Helfer oder mehr benötigen und zudem wäre die Wiese anschließend zu erheblichen Teilen niedergetreten.

Schließlich können die Landwirte auch bei der Mahd noch einiges für den Schutz verbliebener Rehkitze tun, nämlich größere Wiesen von Innen nach Außen mähen und am Wald oder ähnlichen Deckung bietenden Flächen angrenzende Wiesen parallel zur Deckung und zu dieser hin mähen. So können Kitze die schon etwas mobil sind aus der gefährdeten Wiese in die angrenzende Fläche/Deckung wechseln, ohne eine offene, bereits gemähte Fläche überqueren zu müssen. Solche offenen, deckungsfreien Flächen meiden viele Kitze und auch andere Tiere instinktiv und neigen dazu sich länger zu drücken. Oft ist es dann wenn sie sich doch zur Flucht entscheiden zu spät und sie werden verletzt oder getötet.
Eine weiterer wichtiger Faktor ist die Zeitspanne zwischen dem Absuchen der Fläche und der tatsächlichen Mahd. Idealerweise wird unmittelbar nach der Suche mit der Mahd begonnen, so dass keine zunächst vertriebenen Kitze nach dem Abzug des Suchteams zurück kommen und dann doch ausgemäht werden. Eine gute Koordination zwischen Suchenden und dem Landwirt macht sich hier sehr bezahlt!

Drohneneinsatz

Mit Wärmebildtechnik ausgestattete Drohnen, deren Kamerabilder direkt auf den Kontrollmonitor übertragen werden, so dass die Drohne sofort über einer Wärmequelle angehalten werden kann und diese so markiert, sind eine äußerst leistungsfähige Ergänzung der etablierten Methoden zur Rehkitzrettung. Vor allem das Absuchen der Flächen am Morgen vor der Mahd gelingt mit ihrer Hilfe um ein Vielfaches schneller und besser. Ihre Flächenleistung kann auch mit modernen Mähwerken mithalten und die Wahrscheinlichkeit versteckte Kitze tatsächlich zu finden liegt bei günstigen Bedingungen, d.h. vor allem bei der morgendlichen Suche vor oder nur kurz nach Sonnenaufgang, bei fast 100%. Gleichzeitig wird die Zahl der erforderlichen Helfer drastisch reduziert und diese müssen nur gezielt an wenigen Stellen in die entsprechende Wiese hineinlaufen.
Im Bedarfsfall lässt sich eine Kitzsuche mit der Drohne auch problemlos wiederholen, wenn sich etwa der Mahdtermin kurzfristig verschiebt. Dies ist ein großer Vorteil gegenüber der klassischen Vergrämungsmethode. 
Das heißt aber nicht, dass der Drohneneinsatz alle anderen Methoden überflüssig macht oder absolute Sicherheit bietet: Wenn die Vergrämung am Vorabend funktioniert und die Kitze gar nicht erst in der Wiese abgelegt sind, ist das immer die beste Lösung! Sie erspart Kitz und Rehmutter den Stress der Suche und zeitweisen Trennung und birgt auch nicht das Risiko, das etwas ältere Kitze zwar während der Suche aus der Wiese flüchten, dann aber noch vor der Mahd zurück wechseln und dann doch verletzt oder getötet werden.

Auch wenn der Drohneneinsatz die Rehkitzsuche und -rettung erheblich vereinfacht, gibt es eine ganze Reihe erfolgskritischer Faktoren und auch einige Voraussetzungen: Praktisch keine der verfügbaren Drohnen kann bei Regen oder sehr starkem Wind fliegen. Für letzteres sind etwa 6 Beaufort (knapp 50km/h) die Obergrenze. Außerdem gibt es für Drohnen viele Flugverbotszonen, bspw. in Naturschutzgebieten, in der Nähe von Stromleitungen oder Energieerzeugungsanlagen (=Windräder), Bundesfernstraßen, Eisenbahnlinien, Industrieanlagen (bspw. auch Kläranlagen !), Wohngebieten oder in weniger als 1.5km Abstand zu Flughäfen. Zumindest bis 2022 verfüge ich aber über eine Betriebsgenehmigung, die mir im Donnersbergkreis und den angrenzenden Nachbarkreisen in den meisten Fällen den Drohneneinsatz zur Kitzrettung gestattet.

Da die Wärmebildtechnik den Unterschied zwischen der (höheren) Körpertemperatur der Rehkitze und der (niedrigeren) Umgebungstemperatur für deren Erkennung nutzt, ist eine niedrige und vor allem einheitliche Umgebungstemperatur sehr wichtig. Da meistens bei gutem Wetter gemäht wird, d.h. die steigende Sonne wärmt relativ schnell die Umgebung auf, ist es daher am besten sehr früh morgens zu fliegen. In der Praxis bedeutet das ab etwa 6:00 Uhr, an Tagen an denen sehr viele Flächen gemäht werden auch schon 'mal ab 5:00 Uhr. Vor allem bei Wiesenschäden (bspw. durch Wildschweine), sonstigen Kahlstellen (Ameisenhügeln), Steinen oder Totholz wird die Suche rasch zu einem Wettlauf gegen die Sonne. Nach 9:00 Uhr ist nur noch ausnahmsweise eine erfolgversprechende Suche möglich, bspw. in Schattenlagen oder wenn die Wiese wirklich perfekt und einheitlich steht. Anderenfalls kommt es zu einer Vielzahl von Wärmequellen, neben denen die Kitze leicht übersehen werden.

Kitze suchen....

Da das morgendliche Zeitfenster bevor sich die Umgebung aufwärmt und Temperaturunterschiede entstehen begrenzt ist, kommt es bei der Suche auf Schnelligkeit und Präzision an. Am besten gelingt dies, wenn der Suchflug bereits im Vorfeld geplant und abgespeichert wurde. Die Drohne fliegt dann GPS gesteuert das Suchmuster ab und der Pilot kann sich auf die Umgebung der Drohne und das Kamerabild konzentrieren. Wird eine Wärmequelle angezeigt stoppt er die Drohne über dieser und lotst das Suchteam über Funk an die fragliche Stelle.
Typische Vorgaben für den Suchflug sind 50m Flughöhe, 10-18km/h Fluggeschwindigkeit und ein Abstand von 18m zwischen den Suchbahnen, so dass der von der Kamera erfasste Bereich an den Seiten noch einige  Meter überlappt. In hügeligem Gebiet wird die jeweilige Flughöhe automatisch so angepasst, dass die Drohne tatsächlich in der gewünschten Höhe über Grund fliegt.
Die Abbildung rechts zeigt ein Beispiel für eine Flugplanung. Eine Fläche von ca. 6.5ha wird in knapp 18 Minuten lückenlos abgesucht.

Kitze finden ....

Zwillingskitzfund um 7:16 Uhr am 7. Juni bei Stauf (VG Eisenberg). Im Wärmebild - oben links - sind beide Kitze aus 50m Höhe sehr gut als helle Punkte erkennbar. Im Normalbild - mit etwas größerem Bildausschnitt - ist aus dieser Höhe nichts erkennbar.
Im unteren Bild ist das Rettungsteam eingetroffen, hat den Fund des ersten Kitzes bestätigt und sichert dieses. Das zweite Kitz verharrt gut 10m entfernt regungslos und wurde kurz darauf ebenfalls gesichert.

Kitze sichern ....

Gefundene Kitze, die noch nicht selbstständig flüchten, werden in gut mit Gras ausgepolsterten Körben gesichert. Dabei wird peinlich darauf geachtet keinen menschlichen Geruch auf die Kitze zu übertragen: Sie werden nur mit Handschuhen und Graspolstern zwischen Handschuhen und Kitz gegriffen. 

Anschließend werden die Körbe mit den Kitzen außerhalb der zu mähenden Fläche in einem sicheren, schattigen Bereich abgestellt und mit Markierungsstäben gegen Umfallen gesichert. 
Sobald die Fläche gemäht ist, werden die Stäbe und der Korb vorsichtig entfernt, ohne das Kitz nochmals zu greifen. Kitz und Rehmutter kommen rasch wieder zusammen.

Zum Hilfsangebot der Rehkitzrettung-Donnersberg

an die Landwirte und Jäger in der Region

Weiterführende Links

Neben vielen regionalen und vor allem vor Ort praktisch tätigen Kitzrettungsorganisationen haben sich einige größere Organisationen zusätzlich bemüht grundsätzliche Informationen und Hilfen zur Kitzrettung zusammen zu stellen. Hier sind die Webseiten der Deutschen Wildtierrettung und der Kitzrettung-Hilfe verlinkt, die beide ein umfangreiches - und aus meiner Sicht sehr gutes - Informationspaket um die Kitz- und Jungtierrettung zusammengestellt haben:

Zur Website der Deutschen Wildtierrettung e.V.

Zur Website der Kitzrettung-Hilfe